Die verrückte Welt der Messerspiele
Wir haben alle schon von "Tod durch tausend Stiche" gehört, aber was ist mit dem Orgasmus durch tausend Stiche?
von SOPHIE SAINT THOMAS
Könnte es sein, dass Sex der Feind des Todes ist? Im Rahmen des heteronormativen Kontextes könnte diese Theorie tatsächlich in Bezug auf die Fortpflanzung zutreffen. Im lustorientierten Kontext gibt uns Sex das Gefühl, lebendig zu sein, und ermöglicht uns, unser ursprünglichstes Selbst zu werden, denn mit der Verschmelzung der Körper und dem High des Orgasmus trotzen wir dem Tod. Aber was passiert, wenn die abgefahrensten Kinkster der Welt dem Sex die Bedrohung des Todes hinzufügen? Es wird Zeit, mehr in die Waagschale zu werfen. Wir gehen aufs Ganze, denn wir sprechen vom Messersex. Oder, wie es die wunderbar perversen Gemüter nennen, die sich solch erotischer Stimulation erfreuen, Knife Play oder Messerspiel.
„Ich wurde zum ersten Mal mit Hämatolagnie [Blutfetisch] konfrontiert, als ich etwa 18 war", sagt die in Großbritannien lebende Sexualpädagogin und Domina Ness. „Es begann in Form eines Vampir-Fetisch, bei dem man in den Nacken und die Oberschenkel beißt, um das Blut zu saugen.
„Es wurde schnell klar, dass ich lieber gebe als nehme", sagt Ness. „Das Vampir-Element ist nicht ewig geblieben, das Blut- und Messerspiel allerdings schon. Es fühlt sich aufregend an und versetzt mich in ein Mindset, das extreme Lust mit tiefer Konzentration verbindet, da du dir der Sicherheit und der Reaktionen deines Partners bewusst sein musst.
Nach Hause zu kommen, bedeutet nicht, dass der Penis in die Vagina eingeführt wird; das ist so straight und vanillig wie ein Diner Milchshake. Für die Liebhaber des Knife Plays bedeutet es, die Messer herauszuholen. Doch auch wenn Ness gerne Blut zieht, ist das Durchstechen der Haut nicht das einzige Ziel des Kinks.
„Das Messerspiel ist angstbasiert und daher eher eine psychologische Art der Erregung", sagt die Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin Dulcinea Pitagora. „Es geht um Machtdynamik, weil die Spitze des Messers buchstäblich Macht über den unteren Teil des Messers hat", sagt die Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin Dulcinea Pitagora. (Dibs on Knife Top als Bandname.)
Stell dir das Messerspiel wie etwas vor, das du genießen willst: Du startest langsam und bedächtig. Dazu beginnst du damit, Klingen in deinen Dirty Talk zu integrieren. Der Unterwürfige flüstert vielleicht: „Daddy, halt mir ein Messer an die Kehle, während du mich fickst. Wenn du es noch weitertreiben willst, besorgst du dir eine Klinge, die der dominante Partner während des Sex halten oder den Unterwürfigen damit „bedrohen" kann. Der Anblick, eine Klinge auf jemanden zu richten oder nach oben zu schauen, um zu sehen, wie die Spitze eines Messers von oben auf einen zeigt, ist so berauschend, dass es nicht nötig ist, Blut zu vergießen.
Das Messerspiel ist ein Beispiel für das Edgeplay, das sich nicht auf die Klinge bezieht, sondern ein Oberbegriff für sämtliche kinky Vorlieben ist, die an die Grenzen dessen gehen, was als sicher, vernünftig und einvernehmlich gilt. S.S.C. ist eine Abkürzung, die von der Kink-Community verwendet wird, jedoch kann das Edgeplay einer Person der lockere Dienstagabend einer anderen Person sein.
„Was für den einen Menschen aufregend ist, ist vielleicht für einen anderen Menschen gar nicht aufregend", sagt Pitagora. „Es sind die riskanteren Verhaltensweisen, alles, was potenzielle Körperflüssigkeiten oder Hautverletzungen betrifft, die jemanden an den Abgrund bringen. Du kannst dir das Edgeplay so vorstellen, dass man absichtlich die Grenzen einer Person überschreitet, was das allerdings ist, hängt von der Person ab. Die Grenzen eines jeden Menschen sind unterschiedlich.“
Für manche mag die visuelle Darstellung eines Messers mehr als ausreichend sein. Oft integrieren Kink- oder Sexclubs, wie z.B. der New Yorker NSFW, Messerspiele in ihre Performances, die sich die Mitglieder ansehen können. Eine als Nonne verkleidete Domina kann ein Messer am Körper ihrer Untergebenen entlangführen oder es dazu verwenden, Kerzenwachs vorsichtig abzukratzen. „Es kann auf eine lustige Art und Weise getan werden, bei der es weder ums Schneiden noch ums Blut vergießen gehen muss - es kann um Einschüchterung gehen", sagt der Gründer und Chef von NSFW, Daniel Saynt. In solchen Momenten ist das Publikum immer fasziniert und hält den Atem an, während ein glitzerndes Messer sanft über eine Brust gleitet.
Aber lass uns die Dinge richtigstellen: Manchmal ist das Messerspiel sanft und performativ, ein anderes Mal ist es genau so, wie man es sich vorstellt.
„Ich habe mit einer Rasierklinge seinen Rücken und seine Brust aufgeschnitten, während wir gefickt haben, und sein Blut auf mich laufen lassen", sagt Carrie*, eine 50-jährige Frau aus Texas, über Messersex mit ihrem Ex. „Ich leckte es von ihm ab und malte uns damit an. Während es trocknete, klebten wir zusammen. In den Tagen danach sah ich, wie die Schnitte heilten. Sobald die Wunden abgeheilt waren, haben wir es wieder getan. Dies beschränkte sich nur auf Stellen, die von einem Hemd bedeckt werden konnten."
Auch auf die Gefahr hin, das Offensichtliche auszusprechen: jemanden zu schneiden ist nicht gerade der sicherste Sex. Aber bevor du die Kinkster der Unterwelt verurteilst, denke daran, dass du vielleicht im Blutspiel verwickelt warst, ohne es überhaupt zu wissen.
„Nehmen wir an, du hast Mainstream-Sex und gräbst dabei die Fingernägel in den Rücken", sagt Pitagora. „Jemand könnte bluten. Ich habe gehört, dass Leute das süß oder lustig finden, aber es ist ähnlich. Abgesehen vom Messerspiel würde ich sagen, dass die Leute eher reden.
Wie so viele andere Subkulturen, hat die Welt des BDSM gelernt, sich um sich selbst zu kümmern. Kinkster wissen, dass der Einsatz höher ist. Das bedeutet, dass die ständige Kommunikation, das Setzen der Grenzen, das Festlegen von Sicherheitswörtern, das Einstudieren von Szenen und sogar das Erlernen medizinischer Skills wichtig sind.
„Wenn du eine Blutwunde zufügen willst, dann solltest du es an einer sicheren Stelle tun", sagt Pitagora. „Du solltest es nicht in der Nähe einer Hauptarterie oder Venen machen, die du durchschneiden könntest.
Und vergiss Süßigkeiten nicht. „Andere wichtige Dinge sind Handschuhe und sterile medizinische Geräte, Kekse und Eiscreme", sagt Lady Ness. „Da diese Handlungen das sympathische Nervensystem aktivieren können, kann der Blutzuckerspiegel sinken. Daher ist es wichtig, etwas Zuckerhaltiges zur Hand zu haben. Ich habe auch eine Notfallfoliendecke, da die Temperatur der Untertanen sinken kann.
Knife Plays laufen nicht immer zwanglos ab, auch wenn es nicht so beängstigend ist, wie du vielleicht denkst. Die Intensität muss nicht mit Blut, sondern kann über die menschliche Bindung zum Ausdruck gebracht werden. Du solltest dich nur mit jemandem, den du kennst und dem du vertraust, auf das Knife Play einlassen, nicht aus Gründen der Monogamie, sondern weil du angstfrei kommunizieren und dich vorbereiten willst. Es ist nicht cool, sich erst aufzuschlitzen und sich dann zu trennen; Das Messerspiel erfordert Aftercare, ein kinky Begriff für die gegenseitige Fürsorge nach einer Szene.
„Die Nachsorge ist alles, was den Machtaustausch der Szene wieder ins Gleichgewicht bringt", sagt Pitagora. „Für manche Leute ist es der Vanille-Sex, der einen an einen besseren Ort bringt. Die Spannungen werden abgebaut, denn wenn man einmal eine riskante Szene mit jemandem macht und es gut läuft, dann kann es dazu führen, dass sich die Personen emotional miteinander verbunden zu fühlen.
Messer, die typischerweise mit Gewalt in Verbindung gebracht werden, in den Sex zu integrieren und daraus einen schönen und schmutzigen Gewaltakt zu machen, kann nicht nur dazu führen, dass du dich lebendig fühlst, sondern auch, dass du dich deinem Partner näher als je zuvor fühlst. „Ich denke, ein Teil des Reizes macht der mentale Aspekt aus, dass ich die Macht hatte, ihn möglicherweise wirklich zu verletzen", sagt Carrie über Messersex mit ihrem Ex.
Beim Edgeplay brauchst du keine Narbe zu hinterlassen, selbst wenn Messer im Spiel sind, um in den Gedanken eines ehemaligen Liebhabers lebendig zu bleiben.
„Blut hat mich schon immer fasziniert. Der Geruch, der Geschmack, die Art und Weise, wie es trocknet und Farbe und Textur verändert. Dass jemand seins mit mir teilte, war sehr intim", sagt Carrie. „So eine Verbundenheit habe ich noch nie zuvor gefühlt. Es war so stark. Ich werde nicht „magisch“ sagen, weil das kitschig ist, aber es war etwas ganz Besonderes.
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