Die Überirdische – eine Hommage an die Flugbegleiterin
Warum hat sie es uns so angetan? Weil sie mehr Traum war als Frau. Weil sie uns zu besseren Männern machte. Und weil sie uns beistand, mit viel mehr als nur Tomatensaft. Eine Hommage an die Flugbegleiterin...
Sie war das perfekte Versprechen. Rank bis unter die Kabinendecke, schlank und gewandt in engen Gängen und Kostümen, mit militärischer Strenge gemustert auf körperliche wie mentale Top-Form, einwandfreien Benimm und Ausdrucksstärke: So entstand vor 80 Jahren das Berufsbild – ach was, das himmelhoch gehängte Idealbild einer Frau, die kaum eine Wunschvorstellung unbedient ließ.
Und doch errichten wir zum Jubiläum der Stewardess kein Denkmal, sondern ein nostalgisches Gedankengebäude, denn der Männertraum hat seine einstige Reiseflughöhe verlassen. Nicht nur, weil sich die Liebesfantasien der meisten Passagiere in all den Jahren nie erfüllten, sieht man von Männern wie dem russischen Oligarchen German Chan, Fußballhelden wie Andi Brehme und einigen Piloten ab, die mit früheren Stewardessen im Ehebett landeten. Nein, die Enttäuschung ist größer: Seit der Luftweg eine billige Alternative zur Straße und ein Privileg für jedermann geworden ist, funktioniert die Sache mit dem Idealbild Stewardess nur noch in seltenen Momenten.
Die Bedingungen müssen exakt stimmen. Heftige Scherwinde sollten den Fluggast frühmorgens aus heiterem Himmel aus dem Schlaf reißen. Unter ihm Grönland oder die Mongolei. Und wenn er gerade erschrocken hochfahren will – ist sie da: samtener Teint, strahlende Mandelaugen. Turbulenzen? Egal. Sie hat sie weggelächelt. Wie kann ein Mensch nach so vielen Flugstunden so aussehen? Und heftigst geschüttelt, aber völlig ungerührt, 11.000 Meter über einer deprimierenden Einöde so gewinnend schauen?
Als das zivile Fliegen noch ein Abenteuer war und eine exklusive Veranstaltung für wenige Begünstigte, kostete es die Passagiere nebst Geld vor allem Mut, in eines dieser blechernen Treibstofffässer mit Flügeln zu steigen. Und da kam sie ins Spiel. Mitten in der vermeintlichen Hölle mit milder Miene Getränke servierend, zwang sie den Mann zum klaren Rollenbekenntnis: Angst? Quatsch! Ihre bloße Anwesenheit machte ihn zum Helden. Man könnte es den Arzthelferinnen-Effekt nennen. Er funktioniert wie bei der hübschen Krankenschwester, wenn ein Knochen gebrochen ist: Arm? Ich? Schmerz? Ach wo! So verwandelt uns jeder Blick, jede Geste, jeder blödsinnige Tomatensaft, den die Stewardess reicht, zu wind- und welterfahrenen Teufelskerlen. Beziehungsweise verwandelte. Denn heute fliegt jeder dauernd. Die massenhafte Erfahrung macht angstfrei, und Volksherrschaft braucht keine Helden, ergo: auch keine fliegenden Idealfrauen.
Stimmt alles nicht? Dann werfen wir doch mal kurz einen Blick zurück. Frauen, die im Karneval möglichst viele Männer verrückt machen wollen, verkleiden sich seit Jahren mit größter Vorliebe als? Stewardess oder Krankenschwester. Oder schauen wir weiter zurück: Ellen Church, die erste Stewardess, mit der am 15. Mai 1930 auf dem „Boeing Air Transport“-Flug Oakland – Chicago alles begann, war im Hauptberuf? Krankenschwester. Ebenso wie ihre sieben weiteren Kolleginnen. Doch mit den Jahren wurde das Fliegen immer risikoloser für Leib und Leben, für immer mehr Menschen bezahlbar und zur Gewohnheit. Ein Supermarkt anstelle einer Institution. Bis irgendwann von der Frau, um derentwillen ein Mann sein Bestes gibt, nichts blieb als die hübsche Hülle und freundlicher Service. Die Passagiere wurden anmaßend, und Sozialpsychologen stellten fest, dass der Stewardess das stete Lächeln mittlerweile so schwerfällt, dass es zum Burnout führt. Schließlich ist sie auch nicht mehr die Jüngste und kann mittlerweile von Glück reden, wenn sie rechtzeitig den Absprung in einen anderen Beruf geschafft hat. Wie Sabine Christiansen oder Jóhanna Sigurdardóttir, die anschließend Island regierte, was ja auch nicht so schlecht ist.
„Früher war Stewardess für die Mädels der Traumberuf schlechthin, heute ist es ein Job“, brummte uns neulich an der Bar ein abgedankter Flugkapitän ins Ohr. „Trotzdem fliegen und fliegen viele von uns immer weiter, bis sie endlich einen Piloten haben – oder einen Prominenten“, seufzte seine frühere Kabinen-Kollegin.
Arme Stewardess! Wie gern würden wir uns revanchieren und jetzt mal dich verwöhnen. Mindestens ein paar gute Flugstunden lang. Und ganz bestimmt nicht mit Tomatensaft.
Autor: Philip Wolff