"Fahrenheit 451" und sein kritisches Vermächtnis, vom Playboy zum Jenseits

"Fahrenheit 451" und sein kritisches Vermächtnis, vom Playboy zum Jenseits

„Fahrenheit 451" und sein kritisches Vermächtnis, vom Playboy zum Jenseits

Wenn wir bei Fahrenheit 451 von HBO, der am Samstag, den 19. Mai Premiere hat, abdrehen, dann liegt das teilweise daran, dass wir uns ein wenig wie der Besitzer fühlen können. Als der Playboy 1954 noch in den Kinderschuhen steckte, haben wir den ursprünglichen Ray-Bradbury-Roman in drei Teilen - März, April und Mai - als Serien veröffentlicht, falls du Lust hast, sie dir bei eBay zu holen. (Wir verdienen keinen Cent dabei, versprochen. Verrückt.)

Im Laufe der Jahre haben wir viele herausragende Romane gedruckt, von Lolita-Autor Vladimir Nabokov bis zum Nobelpreisträger Gabriel García Márquez. In jenen Tagen jedoch dachte praktisch niemand an Sci-Fi als „herausragende“ Literatur. Bradbury selbst wollte nicht so eingeordnet werden. Seine Arbeiten erschienen hauptsächlich in Pulp-Fachmagazinen, was eine Garantie dafür war, dass der literarische Mainstream Autoren wie ihn nicht wahrnehmen würde.

Bradburys Fantasie über eine Gesellschaft, in der Bücher verboten sind - und zwar alle Bücher und nicht nur „staatsfeindliche“ -, war im vergangenen Oktober als Taschenbuch von Ballantine Books herausgebracht worden. (Das gebundene Buch erschien erst ein wenig später.) Aber Taschenbücher wurden auch nicht oft überprüft, und einige Leute sind der Meinung, dass Fahrenheit 451 in der Versenkung verschwunden wäre, wenn Hugh Hefner nicht mit $400 um die Serienrechte gepokert hätte. (Die obige Illustration von Luke Brookes ist eine Neuauflage des originalen Playboy-Kunstwerks von Ben Denison.)

Es wäre natürlich früher oder später wieder aufgetaucht, denn Ray Bradbury ist nun mal Ray Bradbury. Aber Playboy stellte Fahrenheit 451 schon früh Tausenden von Lesern vor, die nicht unbedingt Science-Fiction-Junkies waren. Natürlich hätten sie (oder wir) nicht ahnen können, dass sie einen der Klassiker des Genres zwischen ihre Finger bekommen würden, aber die zwei oder drei Leser-Generationen danach wussten, dass dem so war. Auch 65 Jahre später wird das Buch noch immer gedruckt.

Einen der großartigsten Sci-Fi-Romane zu sein, hat dem Ruf von Fahrenheit 451 nicht gerade geschadet. „Die Temperatur, bei der Buchpapier Feuer fängt und brennt", erklärt die Titelseite und es ist so: Celsius 232.778 hätte einfach nicht den selben Pfiff. Nach diesem Auftakt wird uns Feuerwehrmann Guy Montag vorgestellt, dessen Aufgabe es nicht ist, Höllenbrände zu löschen. Stattdessen fackelt er Bücher ab, wo immer er und seine Einheit diese versteckt finden.

Zu Hause ist seine völlig abgedichtete Frau sowohl nach Pillen als auch nach der belanglosen Unterhaltung an den „Wohnzimmerwänden" ihres Apartments - d.h. riesigen Flachbildschirmen - süchtig. Jahrzehnte, bevor sie Realität wurden. Aber Montags heimlicher und rebellischer Charakter kommt in Aktion, als er die freigeistige Clarisse trifft, die ihn dazu bringt, den giftigen post-literarischen Konformismus seiner Gesellschaft in Frage zu stellen. Schließlich findet er seinen Weg zu einer Rebellensekte, deren Mitglieder verbotene Bücher auswendig lernen, um das Beste der Zivilisation zu bewahren, bis die erhoffte Erneuerung einsetzt.

Wenn du es literarisch sehen willst, hat diese Prämisse nie viel Sinn ergeben. Was, jedes Buch? Jedes Buch? Betriebsanleitungen auch? (So viel zur Bedienungsanleitung deines Flammenwerfers.) Aber deshalb nennen sie Gleichnisse Gleichnisse. Jeder helle Leser versteht, dass Fahrenheit 451 eine Metapher für Zensur, Anti-Intellektualismus und zerstörerische Orthodoxie ist. Bradbury selbst sagte dazu, das Buch befasse sich tatsächlich mit dem Potenzial des Fernsehens, Literatur zu zerstören.

Zu der Zeit, als er den Roman schrieb, feierte die buchstäbliche Bücherverbrennung mit Hilfe der US-Regierung ihr erstes großes Comeback seit den Nazis. Das State Department warf Bücher von angeblich aufrührerischen amerikanischen Autoren ins Feuer, noch bevor Senator Joe McCarthys „Junkeering Gumshoes" - Roy Cohn, zukünftiger Mentor Donald J. Trumps und sein Kollege David Schine - im Jahr 1953 nach Europa reisten, um sicherzustellen, dass Kommunisten wie der Kriminalautor Dashiell Hammett aus ausländischen Bibliotheken beseitigt wurden. Es ist schwer vorstellbar, dass Bradbury nicht darauf reagierte.

Fahrenheit 451 wurde schon früher, 1966, mit einem ungewöhnlichen Regisseur (Francois Truffaut), einer ungewöhnlichen Besetzung (Oskar Werner, Julie Christie) und einem ungewöhnlichen Setting (England, das Land, von dem man nicht gerade erwarten würde, dass es Dickens und Shakespeare durch den Schornstein jagt) auf die Leinwand angepasst. Der Film ist nicht vollkommen schlecht, vor allem dank Kameramann Nicolas Roeg, und Cyril Cusacks skurrilem Auftritt als Captain Beatty, Montags rätselhaftem Boss. Aber obwohl Bradbury behauptete, dass er es mochte, ist es kaum die Version von Fahrenheit 451, von der alle träumen.

Obwohl es gemischte Kritiken erhalten hat - und es sich wesentlich weniger an Bradbury's Original hält, beginnend mit der Verbannung von Montag´s pillensüchtigen Gattin aus der Geschichte -, verbessert das HBO-Remake unserer Meinung nach Truffauts lauwarme Version. Dystopische Zukünfte sind heutzutage in Filmen so verbreitet, dass es für einen Filmemacher fast unmöglich ist, einen völlig neuen und Weg zu visualisieren. Aber der Regisseur Ramin Bahrani tut sein Bestes, um die vertrauten autoritären Bilder des Genres zu beleben und die Details spezifisch und lokalisiert halten. (Hamilton, Ontario, steht für Cleveland.) Mit cleverem Fingerspitzengefühl sind Razzien und Buchverbrennungen der Feuerwehrleute das neue Infotainment - projiziert auf die Gebäuden in der ganzen Stadt - und Montag selbst ist prominent.

Da das Drucken gedruckter Bücher ausschließlich auf iPads und Kindles primitiv aussehen würde, beinhaltet das Verbot nun auch deren elektronische Verbreitung und erstreckt sich offensichtlich auch auf die gesamte Kunst. (Neben anderen Kunstwerken geht auch eine Partitur von Mozart in Flammen auf.) Inzwischen sind die Buchleute nicht bloß Kriminelle; Sie werden als Terroristen behandelt, und eine Selbstverbrennung, an die Bradburys Leser sich erinnern werden, wird zu einer erschreckenden Parodie der letzten Momente eines Selbstmordattentäters modernisiert. Die aktualisierten thematischen Referenzen sind offensichtlich - „etwas sehen, etwas sagen" gibt es viel - und interessanterweise suggestiv, denn die Buchliebhaber sind in den Festnahmeszenen oft wie die heutigen Obdachlosen angezogen und geschminkt.

Michael B. Jordan, der gerade von seiner extrem guten Performance als Killmonger in Black Panther profitiert, spielt Montag und ist sehr gut darin, die Hysterie des Charakters zu überspielen, denn seine Loyalitäten werden immer widersprüchlicher. Aber das Beste im Remake ist seine Beziehung zu Beatty (Michael Shannon), der in dieser Version viel deutlicher Montags zweites Ego ist - ein Mann, der sich aus der gleichen Hysterie selbst zum Fanatiker gemacht hat. Kein Schauspieler ist besser als Shannon, wenn es darum geht, dem fehlgeleiteten menschlichen Gefühl eine andere bedrohliche Richtung zu geben, und dies ist besonders gut herausgekommen.

Es gäbe nichts Schöneres, als in einer Gesellschaft zu leben, in der die Fantasie von Fahrenheit 451 als veraltet empfunden wird. Ironischerweise war es bis zu einem gewissen Grad 1966 so; Ein Grund, warum die Truffaut-Version nicht unter die Haut ging, war, dass sie keine der spezifischen Ängste dieser Epoche der kosmopolitischen Kinogänger widerspiegelte. Aber dies ist heute nicht so, denn der Präsident der Vereinigten Staaten tut sein Möglichstes, um Intellektuelle zu diskreditieren, und dies unter dem Applaus von Fox News. Die Buchliebhaber des Remakes sehen vielleicht aus, als ob sie obdachlos wären, aber das hält sie nicht davon ab, auch elitär zu sein - und wie wir alle wissen, gibt es kein dreckigeres Wort als das im Trumpland.

Autor: Tom Carson, Playboy USA